erstellt am 07.04.2025 von Christian Kraus
"Wenn du laufen willst, lauf einen Kilometer. Wenn du ein neues Leben kennenlernen willst, lauf einen Marathon."
Diesen Spruch habe ich oft gelesen – aber erst seit gestern verstehe ich wirklich, was er
bedeutet.
Hier sind ein paar Eindrücke der letzten zwei Tage, festgehalten in ein paar Bildern. Was man
darauf nicht sehen kann: die unzähligen Emotionen, die dahinterstecken.
Seit 2016 trage ich den Traum in mir, einmal beim VCM-Marathon mitzulaufen. Damals war es noch der Halbmarathon, der mich anzog. Das Laufen begleitet mich schon viele Jahre – es ist nicht einfach nur ein Hobby, sondern ein konstanter, wertvoller Teil meines Lebens.
Ich liebe es.
Irgendwann setzte sich der Gedanke fest, eines Tages einen ganzen Marathon zu laufen – am liebsten noch vor meinem 40. Geburtstag. Aus dem Traum wurde ein Ziel. Im Juli des letzten Jahres meldete ich mich an.
Dazwischen lagen noch ein paar 10-Kilometer-Wettkämpfe und der Wachau-Halbmarathon im September – der allerdings leider wegen des Hochwassers abgesagt wurde.
Schon im Training für den Halbmarathon spürte ich, wie herausfordernd das Ganze mental ist. Ich musste einige Rückschläge einstecken –körperlich verletzungsbedingt, aber auch psychisch.
Doch aufgeben? Das kenne ich nicht. Das war nie Teil meiner Natur. In dieser Zeit entstand in mir noch etwas Großes: der Schritt in die Selbstständigkeit als Mental- und Sportmentaltrainerin.
Im Jänner begann ich mit dem gezielten Training für mein großes Ziel. Emotional war ich zu dieser Zeit ganz am Boden – der Verlust einer meiner engsten Seelenfreundinnen hatte mich schwer getroffen. Doch das Laufen half mir, diesen Schmerz zu verarbeiten. Ich spürte bei jedem Lauf, dass sie bei mir ist.
Für mich war klar: Diesen ersten Marathon widme ich ihr. Sie war mein mentales Schutzschild, meine stille Kraft – und genau so war es auch.
Tief in meinem Herzen war sie bei jedem einzelnen Schritt an meiner Seite. Doch der Weg blieb nicht ohne weitere Hürden: Im Februar kam der nächste Rückschlag – eine hartnäckige Verkühlung mit Grippe zwang mich zu drei Wochen Trainingspause. Danach hieß es langsam wieder zurückfinden.
Und als wäre das nicht genug, eine Woche vor dem Start: Magen-Darm-Grippe Und dann die nächste Hiobsbotschaft: Es wird extrem kalt. An sich kein Problem – aber der Wind!
Ich musste mein Mindset wieder einmal komplett drehen: „Das Wetter kann ich nicht beeinflussen – aber ich kann beeinflussen, wie ich damit umgehe. Alle haben dieselben Bedingungen. Ich mach das Beste draus.“ Augen zu und durch – das war meine Devise.
Am Marathontag war ich bereit. Ich wusste: Ich habe mich bestmöglich vorbereitet. Und mit meinem Mann an meiner Seite, meiner besten Freundin (überraschend) und Julia tief in meinem Herzen, war ich mental stark.
Um 09:26 Uhr lief ich in meinem Startblock los.
Die ersten Kilometer spürte ich meine Zehen vor Kälte kaum. Ich nahm gar nicht richtig wahr, dass ich schon laufe. Meine Uhr gab keine Sprachansagen – ich hatte keine Ahnung, wie schnell ich unterwegs war.
Ich hatte mir im Training angewöhnt, mehr auf meine Herzfrequenz als auf die Pace zu achten – und schon bei Kilometer 2 sah ich, dass mein Puls viel zu hoch war. Um ruhig zu bleiben, beschloss ich: Keine Blicke mehr auf die Uhr. Ich höre auf meinen Körper.
Zwischen Kilometer 6 und 7 nahm ich mein erstes Gel. Bei der Kälte durfte man das Trinken nicht vergessen – mein Elektrolytgetränk hatte ich in meiner Laufweste dabei und trank regelmäßig kleine Schlucke. Nach 10 Kilometern war ich endlich warmgelaufen – sogar ein paar Sonnenstrahlen schauten kurz durch.
Mental arbeitete ich mit Etappen, das half mir enorm. Ich fühlte mich richtig gut und verspürte den Drang, schneller zu werden – aber ich entschied mich bewusst, das Tempo zu halten. Ich hatte noch nicht einmal die Hälfte hinter mir, und mein längster Trainingslauf war 31 km – da wollte ich nichts riskieren.
Bei Kilometer 12/13 nahm ich das nächste Gel. Immer wieder sah ich Pacemaker mit der Zielzeit 4:15 Stunden – manchmal vor mir, manchmal hinter mir. An ihnen orientierte ich mich locker.
Endlich: Halbmarathon-Distanz!
Ein großer Teil der Läufer bog ab – ich lief weiter. Mein nächstes Gel bekam ich kaum auf – meine Finger waren so taub von der Kälte, ich musste es mit den Zähnen aufreißen. Der ständige, eiskalte Gegenwind machte es schwer. Ich wusste aus dem Training, dass Kilometer 26–28 für mich besonders hart werden könnten – deshalb bat ich meine zwei größten Fans, sich dort an die Strecke zu stellen. Und tatsächlich: Ich sah sie schon von Weitem – es war ein Gänsehautmoment!
Sie pushten mich mit ihrer Energie, und die nächsten Kilometer liefen wie von selbst. Gel Nummer 4 kam dazu. Ich näherte mich Kilometer 30 – und dem berüchtigten "Mann mit dem Hammer."
Ich hatte mich mental vorbereitet – und tatsächlich: immer mehr Läufer begannen zu gehen. Ich lief weiter. Von Kilometer 32–36 hängte ich mich an eine Pacemakerin – ich war wie in einem Tunnel, fokussierte mich auf ihre grünen Laufsocken. Ich lief wie ferngesteuert und sagte mir immer
wieder: „Nicht abreißen lassen.“
Bei km 34/35 das letzte Gel. Dann das Schild: Kilometer 38 – in meinem Kopf: „Nur noch vier! Das packst du!“
Doch das nächste Schild zeigte… Kilometer 37. Oh nein. Ich hatte mich um einen Kilometer vertan. Das war ein harter mentaler Moment –
aber ich gab nicht auf.
Bald kam das echte Kilometer-38-Schild. Noch vier. Der kalte Gegenwind war wieder da, aber ich lief wie automatisch. Ich hatte es bis hierhin geschafft – jetzt würde ich auch den letzten Rest noch schaffen! Ab Kilometer 40 verblassen die Schmerzen langsam. Ich drehte mir mein Lied für den Zieleinlauf auf, öffnete meine Weste und Jacke, damit man die Aufschrift auf meinem Shirt sehen konnte.
Dann – völlig überraschend – kam mein Mann auf die Strecke gelaufen, lief ein paar Meter mit mir mit, gab mir die letzte Kraft.
Und dann war es so weit: Ich finishte meinen ersten Marathon. Bei extrem kalten Bedingungen, in einer Zeit von 4:12:20.
Ich konnte es nicht glauben. Die Freudentränen kamen. Dieses Gefühl, durchgelaufen zu sein, konstant, mental stark, war einfach überwältigend.
Ich bin stolz auf mich, auf meinen Körper – aber vor allem auf meinen Kopf, der mich nicht aufgeben ließ.
Dieser Marathon war eine Lebenserfahrung. Und ich bin noch dabei, alle Emotionen zu verarbeiten.